FotoPuls - Foto-Zeitreise an der Atlantikküste
Interview mit Thorsten Naeser
Kameras aus dem Viktorianischen Zeitalter, dazu eine mobile Dunkelkammerausrüstung und eine unerschütterliche Ausdauer. Das ist der Mix, mit dem Alex Boyd in den letzten zehn Jahren immer wieder die Atlantikküste Großbritanniens und Irlands bereist hat. Herausgekommen dabei sind eindringliche Bilder, die aus der Zeit gefallen sind.
Man könnte fast meinen, es war Liebe auf den ersten Blick, als Alex Boyd seine Bekanntschaft mit den großformatigen Kameras aus der Mitte des 19. Jahrhunderts im Jahr 2010 gemacht hat. Damals besuchte er die Ausstellung „The Family and the Land“ von Sally Mann in der „Photographers Gallery in London“. „Ich war begeistert von dem wundervollen Charme der Bilder, die sich aus der Kombination der historischen Fotoapparate und dem Nassplatten Kollodium Entwicklungsprozess ergaben“, erzählt Alex Boyd.
Die Entwicklungstechnik hatten Frederick Scott Archer und Gustave Le Gray im Jahr 1850/1851 erfunden. Dabei wurden Metall- oder Glasplatten mit Kollodium begossen, mit Silbersalzen lichtempfindlich gemacht und dann in der Kamera dem Lichteinfall ausgesetzt. Gleich nach der Belichtung mussten die Platten entwickelt werden. So führten Reisefotografen in dieser Frühzeit der Fotografie immer ein Dunkelkammerzelt mit sich. Ihnen blieb nach der Belichtung gerade mal eine Viertel Stunde, um die Negative zu entwickeln. Dabei war die Größe der Negative war in der Frühzeit noch nicht genormt. Mitte des 19.
Jahrhunderts wurden Formate bis zu 40 cm × 50 cm verwendet, so beispielsweise Francis Friths Aufnahmen aus Ägypten aus den Jahren zwischen 1856 und 1860. „Meine ersten eigenen Erfahrungen mit dem KollodiumNassplatten Verfahren sammelte ich dann in einem Workshop in Glasgow, in sicherer Studioumgebung“, erzählt Alex Boyd weiter. Und damit hatte den jungen Schotten diese anachronistische Technik der Fotografie gefesselt. Er beschloss, sich auf eine außergewöhnliche Fotoreise an die rauen Atlantikküsten Irlands und Großbritanniens aufzumachen. „Ich war mir bewusst, dass das ein zeitaufwendiges und mühsames Projekt werden würde“, sagt Boyd. „Es ist schon eine große Herausforderung, mit sperrigen Kameras aus den Pioniertagen der Fotografie samt notwendiger Chemikalien und Dunkelkammerzelt an den steinigen Umgebungen zu hantieren.“ Während seines Projekts verwendete Boyd insgesamt drei verschiedene Kameratypen.
Die größet davon war eine moderne Reproduktion einer viktorianischen 10x10-Kamera von Black Arts Cameras aus New York. Doch an eher schwer zugänglichen Fotospots war diese kaum einsetzbar. Also wurde etewas abgespeckt und Boyd verkleinerte sich auf eine moderne 5x4-Feldkamera. Zuerst eine ehemalige britische Militär-MPP-Kamera, und danach eine Ebony RW45. Für jede Kamera verwendete Boyd original viktorianische Petzval-Messingobjektive, die damals von Ross und Darlot hergestellt wurden. An den Hängen des Carrantuoohill, dem höchsten Berg Irlands, stieß Boyd dann dennoch an seine Grenzen. Erschöpfung und das unzugängliche Terrain zwangen ihn zur Umkehr, bevor er seinen angestrebten Aussichtspunkt erreichte. Doch die härtesten Tage verbrachte er auf der Isle of Skye. Dort verbrachte er einen ganzen Monat in den Cuillin Hills, während um ihn herum ein Tiefdruckgebiet das nächste jagte.
Besonders lebhaft in Erinnerung geblieben ist Boyd aber sein Aufenthalt an Irlands wohl bekanntesten Felsen im Meer, dem Duin Briste bei Downpatrick Head. „Hier konnte ich in einem Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg als improvisierte Dunkelkammer verwenden“, erinnert er sich. Boyd fotografierte den ganzen Tag, um die Stimmung der wild an die Küste brandenden Wellen einzufangen. Seine Geduld hatte sich gelohnt. „Es war ein großartiger Moment purer Euphorie, als das ersehnte Bild vor mir in der Entwicklerwanne langsam Gestalt annahm“, erinnert er sich. Am Ende seiner Reise ins Viktorianische Zeitalter der Fotografie kehrte Boyd mit 70 eindrucksvollen Bildern im Gepäck zurück. Veröffentlicht hat er sie nun in seinem Buch „The Point of the Deliverance“ (kozubooks.com) „Auf diese Weise zu arbeiten hat mir eine ganz neue Herangehensweise an meine Kreativität ermöglicht“, schwärmt Boyd. „Ich konnte Landschaften abstrahieren, oder dramatische Stimmungen in den Himmel zaubern. Und das alles, indem ich die Chemie während des Entwicklungsprozesses veränderte“, erklärt Boyd. „Manchmal spiegeln meine Bilder sogar meine Gemütslage an diesem Tag wieder.“
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